Kuriositäten im Museum: Von Augenblicken einer Nacht, die trotz Dunkelheit nicht unentdeckt blieben

Sobald die Sonne ihr Tagwerk vollbracht hat und ihr Licht allmählich erlischt, hält die Dunkelheit Einzug in Halles Straßen. Mit ihr kehrt Ruhe ein. Das pulsierende Leben der Stadt mit seinem bunten Treiben tritt zurück in den dunklen Schatten der Nacht. Der Takt wird ruhiger, stiller, leiser. Unterm Sternenhimmel und vom wachsamen Blick des Mondes begleitet wandeln nächtliche Gestalten galant durch das Dunkel der Nacht. Aus den Bars und Restaurants in den Gassen der Stadt ertönen Musik und das Gemurmel jener, die den Zauber der Nacht zu genießen wissen. Aus den Fenstern der Häuser flackert Licht – mal aufgeregt wild, mal unaufdringlich sanft. Im Glanze der künstlichen Lichter enthüllt die Stadt so ihr nächtliches Gewand.

Von einer anderen Seite präsentierte sich Halle am Abend des 5. Mai 2018. Anlässlich einer eigens der Museen und Sammlungen der Stadt gewidmeten Nacht wandelten tausende Menschen durch die Halleschen Straßen und ließen so die Nacht zum Tag werden. Für große und kleine Nachtschwärmer öffneten zahlreiche Kunst- und Kulturträger außerhalb ihrer regulären Öffnungszeiten ihre Pforten. Kunst und Kultur konnten so ganz im Schutze der Dunkelheit erlebt und erfahren werden.

Der nächtliche Wandel durch die Kulturlandschaft Halles brachte jedoch auch die ein oder andere Kuriosität ans Licht, die dem Deckmantel der Dunkelheit entrann und so freiwillig oder unfreiwillig entweder ein Schmunzeln auf die Lippen zauberte oder einfach durch seine bloße Existenz und Präsenz verzauberte.

Besondere Aufmerksamkeit erregte die Kunsthalle „Talstraße“. Ihr gelang es, auf unvergleichliche Art und Weise eine kuriose Atmosphäre zu schaffen. Schon die Anreise stellte einen der Höhepunkte des nächtlichen Streifzuges dar. Bereits beim Betreten der Talstraße verschwindet das Gefühl für den Raum und mit ihm das Gefühl für die Stadt. Eine merkwürdige Stille regiert fortan und auch die Zeit scheint plötzlich bedeutungslos. Alte und neue Baustile sammeln sich, verzahnen sich ineinander und schichten sich übereinander. Scheinbar parallel existieren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Häuser wirken verlassen. Kein Licht strahlt aus ihren Fenstern. Nahezu gespenstisch erscheinen sie in der aufkommenden Dämmerung. Ist das wirklich noch Halle?

Häuser in der Talstraße | © Lea Köhler
Häuser in der Talstraße | © Lea Köhler

Wie der Rest der Umgebung ist auch das Gebäude des Kunstvereins in eine seltsame Ruhe gebettet. Eine merkwürdige, ungewohnte, andere Ruhe. Eine Ruhe, die einen von der Außenwelt isoliert, abschottet. Nahtlos und klammheimlich erfolgt so der Übergang in eine Welt der Stille. Eine Welt der Kunst. Steril und geräuschlos präsentiert sich die Kunsthalle an diesem Abend. Statt der Kunst steht immer wieder die Atmosphäre im Fokus, die sich tief ins Gedächtnis brennt. Darüberhinaus sorgen obskure Arrangements von Stühlen und anderen Kuriositäten immer wieder für Irritationsmomente, die zwar überraschen, faszinieren und verzaubern, die Kunsthalle jedoch auch zu einem eigentümlichen Ort machen.

Oft wirkt insbesondere die Platzierung der Sitzgelegenheiten – seien es Stühle oder Sessel – im Raum skurril. An ein Wartezimmer in einer Arztpraxis erinnernd, ziehen sie automatisch die Aufmerksamkeit auf sich. Glücklicherweise gelingt immer wieder die Rückbesinnung auf die eigentlich ausgestellte Kunst. Gleichsam kann die Skurrilität der Anordnung des Mobiliars auch den Eindruck erwecken, selbst Kunst zu sein, die als eine Art Intervention begriffen werden könnte. Dies wiederum hat seinen Charme – es sei denn, allein der Gedanke an einen Besuch beim Arzt lässt einen erschaudern.

Weißes Schnürtelefon auf Sockel | © Lea Köhler
Weißes Schnürtelefon auf Sockel | © Lea Köhler

Im Obergeschoss der Kunsthalle sorgt ein weiteres ungewöhnliches Arrangement eines Objektes für Verwirrung. Ein auffällig auf einem Sockel platziertes, weißes Schnürtelefon lässt die Frage nach seinem Sinn und Zweck aufkommen. Ganz klar sind die Werke an der Wand künstlerischen Ursprungs, doch ein Urteil bezüglich des Schnürtelefons gestaltet sich schwierig. So ganz will sich das Schnürtelefon ja nicht seinen kunstvollen Begleitern an der Wand zuordnen, und doch erweckt es den Eindruck, selbst Teil der künstlerischen Inszenierung zu sein.

Hinter einer Trennwand eines riesigen Raums im Erdgeschoss offenbart sich zudem ein weiteres, zur seltsamen Stimmung im Gebäude beitragendes Arrangement. Ein schwarzer Flügel ragt in den Raum hinein. Die dazugehörige Klavierbank jedoch lässt sich wider Erwarten nicht unmittelbar am Flügel, sondern an der Wand neben der grauen Tür des Notausgangs wiederfinden. Statt sich dem Flügel zugehörig zu fühlen, ordnet sich die Klavierbank scheinbar vielmehr dem an der Wand befindlichen Bild zu. Eine befremdliche Erscheinung, die das eigenartige Gefühl auslöst, dass hier etwas nicht stimmt.

Garten am Hang hinter dem Gebäude | © Lea Köhler
Garten am Hang hinter dem Gebäude | © Lea Köhler

Offenbart sich nun noch ein am Hang gelegener, idyllischer Garten hinter dem Gebäude der Kunsthalle, ist die Verwirrung komplett, die jedoch nun von einem zaghaften Staunen begleitet wird. Wer hätte schon mit einem derart pompösen Garten rechnen sollen?

Insgesamt scheint an diesem Ort alles zu Kunst zu werden. Zumindest ist hier jedes Objekt – sei es auch noch so alltäglich – auf seine Weise wundersam und hin und wieder auch unverhofft komisch. Oftmals verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Design und damit auch die Grenzen zwischen beabsichtigter und nicht beabsichtigter Wirkung durch Inszenierung.

Umgab die Kunsthalle noch eine nächtliche, skurril anmutende, befremdliche Stille, in der jedes Objekt wie von Zauberhand zu Kunst werden konnte, so zeigten sich im Landesmuseum für Vorgeschichte bei genauerer Betrachtung Kuriositäten ganz anderer Art. In dem ansonsten ausgesprochen modernen Museum amüsierten hier und da doch einige Sonderheiten.

Neandertaler ohne Körper | © Lea Köhler
Neandertaler ohne Körper | © Lea Köhler

So fehlt einem Neandertaler doch glatt der Körper. Allein sein Kopf ragt aus der Wand über dem Türrahmen hervor. Seine Begleiter hatten da offensichtlich mehr Glück gehabt.

Trotz des wissenschaftlichen Fortschritts wissen die Menschen doch nicht alles. Die Lösung ist ein Fragezeichen. Hier jedoch nicht in der Luft, sondern leuchtend strahlend in einer herausziehbaren Schublade. Finden sich in den anderen Schubladen noch ausführliche, geschichtliche Informationen, so stellt der Hausbau und das Siedlungswesen die Menschheit wohl vor größere Probleme. Bleibt die Hoffnung, dass das Fragezeichen lediglich ein vorübergehender Platzhalter ist.

Fragezeichen in Schublade | © Lea Köhler
Fragezeichen in Schublade | © Lea Köhler

Die Welt hat viele Gesichter. Eine Wand im Landesmuseum auch. Doch wirken die Masken an dieser Stelle befremdlich. Das Augenpaar jeder Maske ist geschlossen. Eine Beschilderung ist nicht vorzufinden. Handelt es sich womöglich um Totenmasken? – Ein schauriger Gedanke und doch Fotoobjekt Nr. 1.

Masken an der Wand | © Lea Köhler
Masken an der Wand | © Lea Köhler

Das Kunstmuseum Moritzburg faszinierte hingegen insbesondere aufgrund seiner Stellwände und Raumteiler, die Labyrinthcharakter aufweisen und sogar – zumindest von oben betrachtet – selbst zur originellen Kunstinstallation werden.

Im Labyrinth der Stellwände und Raumteiler | © Lea Köhler
Im Labyrinth der Stellwände und Raumteiler | © Lea Köhler

Leider laufen die mehrwinkligen, seltsamen, gelben Trennwände dadurch ebenfalls Gefahr Panik auszulösen, Kunstwerke verpassen zu können. Um jede der zahlreichen Ecken zu gucken, wird dadurch mehr oder weniger zum Zwang. Ein entspanntes Betrachten der Kunst kann da schon einmal zur Nebensache werden. Schade eigentlich. Liebevoll an die Hand genommen und so sanft und intuitiv durch den Ausstellungsraum geführt zu werden, das wäre ein Traum!

Dies sind gewiss nur einige der Kuriositäten, die sich in jener Nacht des 5. Mai 2018 der Finsternis entziehen konnten. Auf der Suche nach ihresgleichen wandeln ihre Schatten womöglich auch heute Nacht wieder rastlos umher. Denn in der Nacht ist – so zumindest scheint es – auch die Kunst nicht gern alleine.

Posted by:Lea Köhler

Lea Köhler studiert seit 2015 Kunst und Ethik auf Lehramt an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein und der Martin-Luther-Universität in Halle. Sie mag Sonne, Regen und den Wald.