Welche Schönheit und biographischer Geschichtenreichtum sich hinter den vermeintlich unscheinbaren Dingen und Gebrauchsspuren wie etwa einer Garagentür versteckt! 

Gestaltungs- und Kulturaspekte im urbanen Raum, welche nicht mit jenem Charakter in Erscheinung treten, explizit aus dem Anspruch heraus Kunst zu schaffen, entstanden zu sein, interessieren mich. Deshalb bin ich auf die Suche nach Architektur und Örtlichkeiten gegangen, die für mich ein Bild vom alltäglichen Leben hier in Halle an der Saale symbolisieren. Für mich begrenzt sich der Kunstbegriff keineswegs auf Objekte, die als Kunst deklariert werden, denn unsere ganze vom Menschen geprägte Umgebung ist durchgestaltet.

Garagenreihung in Halle | © Carolin Breme
Garagenreihung in Halle | © Carolin Breme

Brau, Braun, Braun, Taubenblau, Grau. Das sind die Farben, die sich von rechts nach links an der zugewucherten Garagenreihe hinter unserem Garten lesen lassen. Vor ihnen ein kleiner steinbeköpfter Platz. Wie gerne hätte ich einen Schlüsselbund und könnte meine Neugier stillen, was sich hinter den Toren verbirgt. Seit ich Tag ein Tag aus durch mein Fenster auf jene Architektur schaue, fallen mir immer häufiger weitere Garagenreihungen in und um Halle auf. Mich fasziniert das minimalistische, standardisierte Maß und die individuelle Nutzung jener Räumlichkeiten. Mit einer klaren Abgrenzung zum Wohnraum eröffnen sich hier unzählige Möglichkeiten für das Bastler- und Sammlertum in uns. Denn in vielen Fällen ist und waren Garagen nicht nur Behausung des PKWs sondern z.B. Geburtsstätte weltbekannter Erfindungen: So entstand etwa auch der erste Apple-Computer in einer Garage des mittleren Westens Amerikas.

Garagen findet man vielerorts, ein leicht spießiger Beigeschmack wohnt ihnen inne, doch jene Bescheidenheit, die ich mit diesen Bauwerken verbinde, erweckt meine Euphorie und Sympathie. Die litauische Pflegerin meiner Großmutter erzählte mir einst von einem alten Bekannten, welcher Millionär war und seine Kleidung nur einmal trug, jedoch in keiner Villa, sondern in einer Garage wohnte. Dieses Bild ist mir im Gedächtnis geblieben. Das standardisierte Format der Garagen findet man in aller Welt, so passierte ich einmal in einer armenischen Kleinstadt eine Garagenreihe, dessen Tore fast alle offen standen, in einem der schattigen Innenbäuche wurde ich zum selbstgebrannten Schnaps geladen, der so stark war, dass mir ganz schummrig wurde. In den weiteren sah man Leute an irgendwelchen Fuhrwerken basteln oder es lag Ware zum Verkauf aus. Eine geschäftige, freudige Atmosphäre lag in der Luft.

Sportanlage in Halle | © Carolin Breme
Sportanlage in Halle | © Carolin Breme

Eine andere auf mich faszinierend wirkende Örtlichkeit sind Sportplätze. Spaziert man durch Halles Grünflächen wie die Rabeninsel, welche übrigens nicht zu unrecht ihren Namen trägt, zumal über ihr von Zeit zu Zeit der Himmel von einer schwarzen Raben-Wolke verdeckt wird, dann fällt einem auf, wie viele Sportplätze es hier gibt. 221 Sportflächen hat Halle, was eine beachtliche Summe im Verhältnis zur Größe der Stadt ist. Besonders interessant finde ich die Anlagen, wenn sie menschenleer sind. Dann findet die Bewegung, für die sie so funktional ausgerichtet sind, nur in der Vorstellung statt und der skulpturale Charakter der Anlage tritt in den Vordergrund. Etwa ein Fußballfeld: Zwei Tore, welche sich von den Stirnseiten über den Platz hinweg anschauen. Schlichte Stahlgebilde, auf das Wesentliche minimiert. Auf der Fläche sieht man die Tritte und Spuren der Bewegungen der Sporttreibenden. In den Dimensionskoordinaten eines solchen Platzes fühlt man sich sehr klein, aber die minimalistische Gestaltung im Verhältnis zur großes Fläche hat etwas sehr Wohltuendes.

Abgesehen davon, dass mich Sportplätze in ästhetischer Hinsicht ansprechen, bekomme ich ein flaues Gefühl im Bauch bei der Vorstellung hier Sport zu treiben. Die Welt der Sportkultur ist mir fremd. Als Jugendliche meinte ich, genau wie meine Mitschüler*Innen auch in einen Sportverein eintreten zu müssen. Von Fußball bis Ninjutsu habe ich alles mögliche ausprobiert, bin aber nirgendwo nach der Schnupperstunde, welche aufgrund der Ausdünstungen in jenen Örtlichkeiten auch olfaktorisch nicht besonders angenehm war, wieder aufgetaucht. Vielleicht liegt es am wenig vorhandenen Ehrgeiz in meiner Natur, dass ich dem ganzen nichts abgewinnen kann, vielleicht weil ich familiär in keine Sportzelebration hineingewachsen bin. Im Abitur musste man sich aufgrund eines Mangels an Fächerauswahl im Sport prüfen lassen. Im Diskuswerfen und Kugelstoßen versagte ich kläglich. Wohingegen ich im Langstreckenlauf so schnell war, dass meine Zeit gar nicht mehr in der Liste einer Note zuortbar war. Das lag nicht daran, dass ich das Rennen geübt hätte. Ich glaube es lag an meiner Angst vor dem gesamten Schulsystem, vor dem ich einfach nur noch wegrennen wollte – und das so schnell mich meine Beine tragen konnten. Als ich das Ziel erreichte, meldete sich mein Magen auf Grund der ungewohnten Überanstrengung und ich musste mich vor den Füßen meiner Sportlehrerin übergeben. Das waren der Anfang und das Ende meiner sehr kurzen Sportkarriere.

Schrebergartenanlage | © Carolin Breme
Schrebergartenanlage | © Carolin Breme

Wenn man über jene Orte schreibt, bleibt es nicht aus, auch die Schrebergärten der Stadt zu erwähnen. Halle an der Saale befindet sich nur einen Katzensprung von Leipzig entfernt, wo sich die Geburtsstätte der Schrebergartenkultur verorten lässt. Somit gibt es auch hier unendlich viele Kleingartenvereine. Der Tatsache zufolge, dass viele Bewohner*Innen die Stadt nach der Wende verließen, findet man ganze Anlagen, welche nach und nach von der Natur zurückerobert wurden.
Ein Ort als Refugium, zur Naherholung und zum Ausleben von gestalterischer sowie  gärtnerischer Tätigkeit. Es handelt sich um klar eingeteilte Flächen, die individuell und doch unter einem beachtlichen, vom Verein aufgestellten und zu berücksichtigenden Regelkanon, gestaltet werden können. Was auffällt ist, dass fast jede Parzelle eine Behausung besitzt. Hier wird autodidaktisch an das Architektur- und Ingenieurwesen herangegangen und eine Selbstermächtigung erfahrbar gemacht.

Man spürt beim Flanieren durch eine solche Anlage einen gewisse Auswander*Innengeist, eine Sehnsucht nach dem einfachen Leben. Hinter den Mäuerchen einer Laube versteckt sich kein Ordner mit unbezahlten Rechnungen, keine Fußbodenheizung und vermutlich auch kein WLAN-Router der einen mit der Komplexität der weiten Welt verbindet. In einer Parzelle eröffnet sich die Möglichkeit, vor all dem zu flüchten und wie man beobachtet, wird hier ein archaisches Bild der Besiedelung nachempfunden. Man baut Gemüse an und werkelt an seiner Behausung, man gibt der Nachbarin Tipps für das Einkochen von Holunderblütensirup und bekommt Hilfe beim Erneuern der Dachpappe. Man grenzt sich mit besonders akkurat geschnittenen Nadelhecken ab und fühlt sich doch im Wissen um die anderen „Siedler*Innen“ geborgen. Schrebergartenbesitzer*Innen sind zugleich  Auswanderer*Innen und Träumer *Innen.