Nicht jede Überraschung ist angenehm, aber immer fordert sie einen zum spontanen Handeln heraus. In Halle gibt es so manche Ecken, die eine neue Erfahrung bereithalten. Eine angenehme natürlich. Und eine künstlerische noch dazu.
Bedient man sich des Geoskops auf dem Marktplatz, ist man plötzlich ganz tief unten. Im Untergrund von Halle an der Saale, um genau zu sein. Vom Anblick des silbern glänzenden Kubus’ ausgehend nicht zu erwarten.

Man braucht etwas Kraft um das Geoskop mit beiden Händen in Rotation zu versetzen. Und nun dreht man den Kubus schwerfällig um die eigene Achse, starrt in die Schwärze des Erdreichs und fragt sich, um was es hier geht. Dann leuchten langsam ringförmig angeordnete Schriften aus dem Dunkeln. Wörter wie „Störung“, „Halloren“ und „Gutjahr“ sind zu erkennen.
Wer sich ein bisschen in Halle auskennt, weiß um die lokale Bedeutung der Halloren. Die Salinearbeiter kochten Sole in Pfannen zu Salz, mit welchem die Stadt dann Handel trieb.
Auch der Gutjahr-Brunnen war zur Salzgewinnung in der Oleariusstraße 9, nur wenige hundert Meter entfernt vom Geoskop, errichtet worden. Er ist der einzige heute noch existente Solebrunnen der Stadt, inzwischen allerdings verseucht.
Und was hat es mit dem Wort „Störung“ auf sich? Eine Inschrift seitlich am Geoskop klärt auf. Diagonal unter dem Marktplatz verläuft die sog. „Marktplatzverwerfung“, eine geologische Störungszone. Die Solequellen, die dort austraten, wurden schon vor 5000 Jahren zur Salzgewinnung genutzt und bildeten später die Grundlage für die Stadtentwicklung.
Man blickt also hinunter in ein kleines Stück Stadtgeschichte und weit darüber hinaus. Ein schöner Gedanke.

Ein Spaziergang auf der Reilstraße. Schritt für Schritt. Pfeifen. Hausfassade, Hausfassade, Hausfassade. Bunte Hausfassade, Sexautomat, bunte Hausfassade, Kunstautomat, bunte Hausfassade….
….
Kunstautomat?
Quietschbunt steht er da. Noch bunter als die Hauswand dahinter. Es handelt sich dabei um das Projekt Kunstautomat, das 2001 von Lars Kaiser von der Agentur Kunsttick.com ins Leben gerufen wurde. 4€ soll ich einwerfen. Also gut.
Ich stehe nun vor der Wahl zwischen „regionalen“, „nationalen und internationalen“ oder „regionalen, nationalen und internationalen“ Künstlern. Und nicht zu vergessen, eine Farbe kann ich auch noch auswählen.
Ich entscheide mich für grün. „ars – Kunst von regionalen, nationalen und internationalen Künstlern“. Na dann mal los. Die Öffnung klemmt. Etwas Grünes bekomme ich wohl nicht. Dann eben gelb. „ART – von regionalen, nationalen und internationalen Künstlern.“ Diesmal klappt es. Heraus kommt eine blaue Schachtel in der Größe einer Spielkartenpackung.

Ich fühle mich wieder wie ein Kind. Egal, was darin ist, ich werde es lieben.
Und dann geht man eines Tages den Hallorenring entlang und plötzlich sieht die Mauer einen an.

Ein Gesicht ist darin. Nein, mehrere. Wenn man in ihre Gesichter blickt, wird alles ruhig. Sie blicken entrückt in den Himmel und gleichgültig auf mich herab, jeder für sich und alle gleichzeitig. Ich fasse in ihre Gesichter und versetze sie in Rotation, es scheint sie nicht zu stören. Wenn die Köpfe langsamer werden und vor- und zurückschwingen, nicken sie mir dann auch noch einmal gnädig zu.
Die Gesichtsausdrücke zeigen vieles: Entrücktheit, Langeweile, Aufmerksamkeit, Versunkensein und Gleichgültigkeit.

Sind sie ein einziges Wesen oder vier verschiedene oder bilden sie alles in einem? Beim schnellen Dreh verschmelzen sie. Dreht man sie von oben nach unten, winden sie sich wie eine endlose Schlange aus dem Stein. Schwindel erfasst mich dabei.
Wie lange sie da wohl schon ihren Platz haben? Sind das die Wächter des Tors? Muss ich ein Passwort nennen? Ein Rätsel lösen?
Keine Antwort.
Lautlos. Gleichgültige Ruhe.
Ich entdecke eine Inschrift. So sagen sie mir also doch noch etwas:
DIR DIE RUHE
WIR DIE EILE
LASS UNS TAUSCHEN
EINE WEILE
Ich sage nicht nein.
Diese Orte sind eine Aufforderung zu nicht viel mehr als einer einzigen Handbewegung. Einer Handbewegung, die einen Neues erfahren lässt. Ein kurzes Innehalten im Vorbeigehen. Und vielleicht bleibt man ja sogar ein bisschen länger stehen.